24 oktober 2024

Ein remonstrantischer Kerweborsch

Geschreven door Joachim Bundschuh

Bei der diesjährigen Kerb in Kelsterbach gab es eine „Weltneuheit“: Zum ersten Mal in der Geschichte nicht nur dieser Stadt am Untermain, sondern wohl weltweit, fand sich unter den Kerweborschen ein Mitglied der Remonstrantischen Kirche: Jan-Luca Stadler.

Doch zunächst zur Kerb: Kerb nennt man in Südhessen und darüber hinaus ein Dorffest, das Ähnlichkeiten mit einer Kirmes aufweist. Es gibt Fahrgeschäfte und ein Festzelt, es werden an vielen Ständen Speisen und Getränke verkauft.Ursprünglich geht die Kerb auf die Weihe der Dorfkirche zurück. Deshalb nennt man sie auch „Kirchweih“,

Vereinigungsfest

In Kelsterbach ist das allerdings anders: Hier erinnert die Kerb an die Vereinigung von Alt- und Neukelsterbach im Jahr 1826. Das „Vereinigungsfest“ wurde auf das erste Septemberwochenende gelegt, da danach die jungen Männer zum Militärdienst mussten und vorher noch einmal so richtig „auf die Pauke hauen“ wollten. Diese Tradition hat sich gehalten, und so wird nach wie vor am ersten Wochenende im September die Kelsterbacher Kerb gefeiert.

Zur Kerb gehören traditionell „Kerweborschen“, Junge Männer, die die Kerb vorbereiten und gestalten. Jan-Luca Stadler, der erste remonstrantische Kerweborsch, ist mit der Kerb aufgewachsen. Sein Stiefvater – übrigens auch Remonstrant – ist „Alt-Kerweborsch“, was nichts anderes bedeutet, als dass er selbst auch einmal Kerweborsch war. So bedurfte es für ihn keiner großen Überlegung „ja“ zu sagen, als er angefragt wurde, in diesem Jahr mitzumachen.

Auch wenn manche denken, Kerweborsch-Sein bestehe hauptsächlich aus langen Nächten und viel Alkohol, so sieht die Wirklichkeit doch ein bisschen anders aus: Schon viele Monate vor der eigentlichen Kerb wird überlegt und geplant, wie in diesem Jahr die Kerb aussehen soll. Dafür trifft man sich regelmäßig freitagsabends. Das Motto „next generation“ war schnell gefunden, gibt es doch einen Generationenwechsel bei den Kerweborschen.

Next Generation

Eine Woche vor der Kerb richten die Kerweborschen das traditionelle Hackfleischessen aus, zu dem alle Interessierten herzlich eingeladen sind. Ab dann wird es ernst: Das Festzelt muss geschmückt werden, der Kerwebaum gestellt (ein sehr hoher, entasteter Baum, auf dem oben die „Kerwebob“ sitzt (eine Figur, die die Kerb symbolisiert) und der „Bembel-Bote“ unters Volk gebracht werden. Der „Bembel-Bote“ ist die Kerbzeitung, mit deren Verkauf und den darin enthaltenen Anzeigen ein Teil der Kerb finanziert wird. „Bembel“ ist ein südhessisches Wort für einen tönernen Krug, aus dem Apfelwein, dem südhessischen Nationalgetränk, ausgeschenkt wird.

Am Freitag folgt dann der Bierfassanstich durch den Bürgermeister der Stadt Kelsterbach, während am Samstagabend die Kerweborschen zeigen, was sie „tanzmäßig“ gelernt haben: Ein Herrenballett tritt traditionell auf der Bühne im Kerwezelt auf und gehört zum Showprogramm, das von den Kerweborschen gestaltet wird.

Traditionell gehört zur Kerb auch der (evangelische) Kerbgottesdienst im Zelt dazu, der zum Pflichtprogramm für alle Kerweborschen gehört – unabhängig davon, ob oder welcher Religion sie angehören. Dort wird dann dem jeweiligen Kerbmotto eine biblische Grundlage „verpasst“: Es bildet das Thema des Gottesdienstes. Es schließt sich am Nachmittag der Kerbumzug an, der – ähnlich wie ein Fastnachtsumzug – aus vielen Wagen besteht und sich ab 14 Uhr durch Kelsterbach zieht.

Kerwemädcher

Jan-Luca berichtet, dass das „Kerweborsch-Sein“ anstrengend, aber auch schön ist. Die Gemeinschaft unter den Kerweborschen ist groß und die jeweilige Herkunft, Religion oder Überzeugung spielen dabei keine Rolle. Das war für ihn auch eine Voraussetzung dafür, Kerweborsch zu werden. Diskriminierendes Verhalten ist für ihn ein „no go“, was auch mit seiner christlichen Grundeinstellung zu tun hat.

Eine Baustelle bleibt allerdings für die Kelsterbacher Kerweborschen: die Frage, ob es zukünftig auch „Kerwemädcher“ geben soll. Das konnte auch diesmal nicht wirklich diskutiert werden – durchaus zum Leidwesen von Jan-Luca, der dafür offen wäre.   

Over Joachim Bundschuh

Joachim Bundschuh

Pfarrer in Kelsterbach